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SPRACHGARBE - IM ANFANG WAR DAS WORT

zorn

gedichte

im keller der henker

an der achse des bösen

warten die geier
gib uns herr
dein täglich brot

ins geschrei der prediger

kläffen ein paar hunde
es ist dem herrn
die knochen wert

im keller der henker

nagen die mäuse am tod
die hungernden bekommen
auch heute kein brot

1. märz 2003

prozess

brütende hitze
ein gefängnis
irgendwo

kein schwein weiss dass du hier bist
alle welt weiss dass du verhaftet
und vielleicht hast du sogar
mit einer schmutzigen bombe

aber das ist belanglos

kampf gegen den terror
der achse des bösen

dass das militär
dir den prozess
beweist ja dass leute wie du
uns ans eingemachte

diebin

da gehst du hin
diebin
nimmst mein herz mit
und tust
als wüsstest du nichts

du weisst es wohl

wurdest schwach
wie ich
im mittagslicht
als süsse lust dich stach

und rächtest dich
indem du's nahmst
mein herz

nun ist es hin

gib's mir zurück
oder gib mir dein's

revolution

es lebe die revolution
sagten die rebellen
sie malten ihre parolen
an die häuser der armen

nieder mit der revolution
sagte der präsident
sie klatschten ihm beifall
in den häusern der reichen

das militär zog aus
und schoss
die rebellen
legten bomben

in den bäumen
hingen erhängte
auf den plätzen
lagen ermordete

die waffenschieber
rieben sich die hände
am ende siegte die zukunft
diktaturen leben nicht ewig

romanze

sie trafen sich um drei
sie brachte die flugblätter
sie diskutierten über die partei
beim abschied versprach er
sie wiederzusehen

dann kam es anders

der krieg brach aus
(die mächtigen fingen ihn an)
sie wurde verhaftet
er wurde ausgewiesen

als er jahre später
das land bereiste
und ihr begegnete
erkannte er sie nicht

falken

als aber das böse eindrang
in die stadt der städte
siehe da wussten die falken
unsere stunde ist da
und auf dem hügel der herr
hatte ein offenes ohr
und seine worte hallten in den städten
und seine knechte salutierten
und im schatten der ölfelder
siehe da nistete sich ein das böse
im haus auf dem hügel

und die krank waren blieben krank
und die hungerten blieben hungrig
und wer keine arbeit hatte
siehe er fand keine
und wem keine bücher
zu lernen das wort und die schrift
siehe sie lebten im schatten
und ihr wissen verdorrte
und kalt wehte der wind

als aber das böse sich einnistete
im haus auf dem hügel
siehe da wussten die falken
unsere stunde ist da
und auf dem hügel der herr
hatte ein offenes ohr
und seine worte hallten in den städten
und seine knechte salutierten
und im schatten der ölfelder
siehe da nistete sich ein das böse
in den häusern der stadt

und die nicht krank waren
und die hunger nicht nötigte
weil arbeit ihnen brot
und die gelernt hatten
das wort und die schrift
und ihre ohren konnten hören
und ihre augen konnten sehen
und siehe ihr schweigen
bewahrte sie nicht

als aber das böse sich vermehrte
in den häusern der stadt
siehe da wussten die falken
unsere stunde ist da
und auf dem hügel der herr
hatte ein offenes ohr
und seine worte hallten in den städten
und seine knechte salutierten
und im schatten der ölfelder
siehe da richtete sich ein das böse
in den herzen der menschen

und die richtet
die gesunden und die kranken
und die richtet
die hungernden und die satten
und die richtet
die nicht wissen und die wissen
und die richtet
die herren und die knechte
sie wird dich fragen
und deine antwort soll sein
ja ja
nein nein

8. märz 2003

ins lesebuch für die oberstufe

hans magnus enzensberger

lies keine oden, mein sohn, lies die fahrpläne:
sie sind genauer, roll die seekarten auf,
eh es zu spät ist. sei wachsam, sing nicht.
der tag kommt, wo sie wieder listen ans tor
schlagen und malen den neinsagern auf die brust
zinken. lern unerkannt gehn, lern mehr als ich:
das viertel wechseln, den pass, das gesicht.
versteh dich auf den kleinen verrat,
die tägliche schmutzige rettung. nützlich
sind die enzykliken zum feueranzünden,
die manifeste: butter einzuwickeln und salz
für die wehrlosen. wut und geduld sind nötig,
in die lungen der macht zu blasen
den feinen tödlichen staub, gemahlen
von denen, die viel gelernt haben,
die genau sind, von dir.

aus: verteidigung der wölfe, frankfurt 1957